© 2018 Dr. Antje
Vollmer
Dialog statt Eskalation –
Für eine vernünftige Russlandpolitik
Mit großer Sorge beobachten wir den sich zuspitzenden Konflikt zwischen
Russland und dem Westen. Gegenseitige Sanktionen, die Schließungen von
Einrichtungen und Dialogforen, die einmal der Verständigung und Kooperation
dienten, folgen in immer schnellerem Rhythmus. Wir haben es inzwischen mit
einer beunruhigenden Entfremdung zu tun. Das gegenseitige Verhältnis ist
bestimmt von gegenseitigen Schuldzuweisungen, Verdächtigung und
militärischen Drohgebärden.
Vor diesem Hintergrund wäre es hilfreich, wenn wir uns alle darauf besinnen
würden, dass das Ende des Kalten Krieges schon einmal von beiden Seiten
proklamiert worden ist. Das Wort vom „Gemeinsamen Haus Europa“ sollte uns
noch genauso gegenwärtig sein, wie Putins Rede vor dem Deutschen
Bundestag 2001, in der er ein langfristiges und umfassendes
Kooperationsangebot machte.
Wir neigen dazu, unseren Teil der Verantwortung für das bisherige Scheitern
eines gesamteuropäischen Projektes auszublenden. Die Kernfrage ist, ob der
Westen Russland als einen gleichberechtigten Partner in allen globalen Frage
anerkennen will oder nicht. Aus unserer Sicht, gibt es zur gleichberechtigten
Partnerschaft keine vernünftige Alternative.
Viele Westeuropäer sind heute alarmiert und fürchten Krieg. Viele betrachten
Russland als Gefahr. Umgekehrt sieht die Mehrheit der Russen ihr Land zu
Unrecht vom Westen an den Pranger gestellt. Sie verstehen nicht, warum dieser
Kurs besonders aus Deutschland unterstützt wird, dem Land, das einmal der
Hauptmotor der Entspannungspolitik war, die wesentlich zur deutschen
Wiedervereinigung und dem damaligen Konzept einer gemeinsamen
europäischen Friedensor-dnung beigetragen hatte. Das Versprechen vom Ende
des Kalten Krieges aus der Charta von Paris (1990) wurde nie eingelöst.
Stattdessen wird mit dem Beschwören einer russischen Bedrohung eine neue
Aufrüstungsoffensive in Gang gesetzt.
Die Spirale aus Maßnahmen und Gegenmaßnahmen löst sich zunehmend von
den realen Gründen und Anlässen.
Anders als nach dem Ende des Kalten Krieges gedacht, ist die Weltlage heute
geprägt von Unordnung und Unvor-hersehbarkeiten. Ein Zusammenbruch der
westlich-russi-schen Beziehungen und der Abbruch fast aller Ge-sprächsforen
drohen auch noch den Rest an globaler Stabilität zu gefährden.
Die Erinnerung an zwei Weltkriege mit Millionen von Toten verblasst. Die
rhetorische Eskalation und die Produktion von Feindbildern in Politik und Medien
bleibt nicht ohne Wirkung.
Worauf es jetzt in erster Linie ankommt, ist die Überwindung der Sprachlosigkeit.
Über alle Konflikte und Streitpunkte mit Russland muss offen geredet werden,
ohne Vorbedingungen, Vorverurteilungen und Drohungen. Wir sollten eine Politik
entwickeln, die sich ausschließlich am internationalen Recht und an der
gemeinsamen Verantwortung für das Schicksal der gesamten Menschheit
ausrichtet. Deutschland und die Europäische Union sollten dazu die Initiative
ergreifen. Die Idee einer gesamteuropäischen Partnerschaft ist zwar nicht neu,
aber wartet auf Verwirklichung. Das ist das richtige und große außenpolitische
Thema dieser Legislaturperiode. Wer das nicht sehen will, ist blind für die Gefahr
eines dritten und letzten Weltkrieges.
Günter Verheugen, Edmund Stoiber, Horst Telschik, Antje Vollmer, Helmut
Schäfer